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Konflikt an der Windschutzscheibe |
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Wer zwischen Weihnachten
und Neujahr 2002 offenen Auges den Seitenstreifen
im Guggenbergring in Hamburg Altona entlangging,
wohl auf dem Weg in die Stadt, um misslungene
Weihnachtsgeschenke umzutauschen, der konnte,
sofern er denn genau hinsah und sich nicht von
hektischen Jahresausklanggedanken ablenken liess,
in einen leidenschaftlichen Konflikt eintauchen.
Der Streit spielte sich an den Windschutzscheiben
zweier falsch geparkter Kraftfahrzeuge ab, die
Stirn an Stirn unrechtmaessig auf dem Fahrradweg
vor der Adresse "Guggenbergring 19" abgestellt
waren.
Bereits am zweiten Weihnachtstag waren die Worte "So wie sie stehen, komme
ich nicht raus!" in die gefrorene Scheibe des roten Opel Corsa gekratzt
worden. Tags darauf standen die Autos unbewegt an der selben Stelle. Die Botschaft
auf dem Corsa war bereits mit einer neuen Eisschicht ueberfroren. Stattdessen
war nun deutlich auf der Scheibe des gepflegten VW Jetta zu lesen: "Sie
parken ja auch wie der letzte Penner!"
Am naechsten Tag war es nicht kalt genug fuer hochgefrorene Frontfenster. Dafuer
klemmte ein ordentlich gefalteter Zettel am Scheibenwischblatt des Opels, ueber
dessen Inhalt ich nur spekulieren kann.
Am 29. gab es keine Windschutzscheibenbotschaften. Und dass die Antenne des ockerfarbenen
VWs ploetzlich einen rechtwinkligen Knick aufwies, war nicht nachweislich ein
Resultat des vorangegangenen Streites. Auch der Aufkleber in der Heckscheibe
des Opels ("Ich bremse nicht fuer Rentner"), war zwar vorher noch nicht
da, aber laute Technobeats aus einer Wohnung im ersten Stock von Hausnummer 19
hinderten mich daran, eine Verbindung zu knuepfen.
Ein Tag vor Sylvester gab es keine Neuigkeiten. Der Schnee um den roten Corsa
war ungewoehnlich gelb gefaerbt. Ausserdem hatte der Musikfreund aus dem ersten
Stock in 19 seine Anlage noch weiter aufgedreht, vielleicht, um die Volksmusik
aus der Parterre-Wohnung zu uebertoenen. Aus demselben Fenster toente auch das
Jaulen eines Dackels.
Am 31. war alles ruhig. Ich ertappte mich dabei, dass ich mehrmals um die Autos
der Falschparker schlich, um neue Symptome eines aufbrodelnden Nachbarschaftskonfliktes
zu erkennen, aber ich konnte nichts feststellen. Waehrend meiner Umrundung fuehlte
ich mich zweimal misstrauisch von Anwohnern beaeugt, einmal von einem 30-jaehrigen
Jeanstraeger mit Schnurrbart und Vokuhila, ein weiteres mal von einem Rentner
mit gruenem Jaegerhut und Dackel an der Leine. Beide kamen offensichtlich gerade
von ihren letzten Sylvesterbesorgungen, denn sowohl der eine als auch der andere
schleppten gerade so viele Tueten voller Feuerwerkskoerper wie sie nur tragen
konnten in ihre Wohnungen am Guggenbergring 19.
Ich habe Sylvester bei Freunden im Harz gefeiert.
Deshalb kann ich nicht sagen,
ob sich die Streithammel noch einigen konnten, bevor in der Sylvesternacht dieses
tragische Unglueck passierte, dass die ganze Strasse in Schutt und Asche gelegt
hatte.
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