Über den Sinngehalt unvollständiger Sätze
Über den Sinngehalt von unvollstaendigen Saetzen
von Prof. Dr. Nils Broekk

"Der Sinngehalt von unvollstaendigen Saetzen laesst sich am effizientesten an einfachen Beispielen untersuchen. In der Anweisung "Nur drei Tropfen pro Mahlzeit" existiert zum Beispiel kein Praedikat. Was passiert in unserem Beispiel mit den drei Tropfen? Wir wissen es nicht. Aus dem gesellschaftlichen Kontext liesse sich ableiten, dass das fehlende Verb "einnehmen" lauten muss. Aber ist der Patient deshalb verpflichtet, diese Worte so zu interpretieren?

Stellen wir uns einmal vor, der Patient waere ein angesehener Professor an einer sprachwissenschaftlichen Fakultaet. Er waere beruflich dazu ausgebildet, Worte und Satzstrukturen genau zu analysieren. In seinem gesellschaftlichen Kontext waere es alles andere als vermessen zu resuemieren, dass der Satz genausogut "Nur drei Tropfen pro Mahlzeit in den Ausguss schuetten" oder "Nur drei Tropfen pro Mahlzeit in der Flasche lassen" enden koennte. Wenn er aber nun nicht die trivial-gesellschaftliche Interpretation, sondern die streng genommen genauso richtige Eigeninterpretation befolgt, so kommt es spaeter beim Fachmediziner zu weiteren Diskussionen mit zweifelhaftem Sinngehalt. Der Doktor wird den Kopf schuetteln und sagen: "Aber Herr Professor, ich bitte Sie!" Was streng genommen auch kein vollstaendiger Satz ist. Der Satz "Ich bitte Sie" enthaelt zwar ein Praedikat, aber eines von der Sorte, die ein nachgestelltes Relativobjekt voraussetzen, naemlich den Gegenstand um den hier gebeten wird.

Da der Satz "Ich bitte Sie darum, vernuenftig zu sein." gegenueber einem mehrfach ausgezeichneten Wissenschaftler aber eine nicht akzeptable Anmassung darstellt, verschweigt uns der Quacksalber, der sein Diplom wahrscheinlich in der VHS im Abendkurs bekommen hat, diesen Zusatz. Das Auslassen von gesellschaftlich unadequaten Satzteilen macht den Sinngehalt von Saetzen aber nicht besser. Im Gegenteil. Das Auslassen von Satzteilen deutet immer auf die bewusste Auslassung einer unadequaten Unterstellung hin, deren Wahrheitsgehalt durch die dreiste Anmassung ihrer in den Raum gestellten Unausgesprochenheit ad Absurdum gefuehrt wird.

So ist die unvollstaendige Aufschrift auf einem medizinischen Praeparat "Fuer einen ausgeglichenen Blutdruck" wie folgt zu verstehen: "Dieses Praeparat behandelt Patienten, die einen unausgeglichenen Blutdruck haben. Wenn man also Ihnen dieses Praeparat verschrieben hat, bedeutet dies, dass der Arzt Sie fuer ein cholerisches Arschloch haelt". Die Dreistigkeit dieses unfassbaren, unausgesprochenen Affronts gegen einen Professor, der bereits mit dem Otto Phon Preis fuer Verbalanthropologie ausgezeichnet wurde, ist so empoerend, dass der in Frage stehende Professor jedes Recht hat, die Medizin in den Ausguss zu schuetten und auch jedes Recht, dem miesen Idioten, der sich selbst Arzt nennt, eine gehoerige Tracht Pruegel zu verpassen, wenn der Sack dann auch noch die Frechheit besitzt, daemlich grinsend in seinem Ledersessel zu flezen und einem ein unerhoertes "Aber Herr Professor Broekk, ich bitte Sie!" entgegenzuballern! Verdammte Kacke!!!"
 

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